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Sommet des Diablerets (3210 m)

Lange Reise, kurze Tour auf einen grossartigen Gipfel

Scharf kontrastiert die weite Gletscherfläche mit dem makellosen Blau des Himmels. Die Temperatur ist gerade richtig zum Laufen, die Steigeisen greifen in besten Trittschnee. Wenige Augenblicke zuvor haben wir uns am Sattel südlich des Dôme de la neige angeseilt und jetzt steht uns während einer guten Stunde ein Gletschertrekking höchsten Genusses vor der Kulisse der Walliser Viertausender bevor.

Sie soll eine Tour der Kontraste werden, diese Mittwochstour auf den Sommet des Diablerets, zu der sich zwei Teilnehmerinnen und vier Teilnehmer gemeldet haben und die von Sandra Crameri geleitet wird. Die Gegensätze beginnen bei der Zusammensetzung unserer Truppe: Viermal U 30 kontrastiert mit dreimal Ü 50, doch der Stimmung tut dies keinen Abbruch. Im Gegenteil: Die Gespräche sind anregend und das Thema Berge verbindet. Das Wetter: Während der Himmel über Bern frühmorgens bereits klar ist, bleiben am Alpenhauptkamm die Wolken kleben. Doch die Wetterentwicklung stimmt uns zuversichtlich: Nach drei Stunden Fahrt stehen wir kurz nach halb zehn Uhr auf 2940 Metern Höhe abmarschbereit bei der Bergstation der Diablerets-Seilbahn. Der Wind weht zwar frisch, wird aber hoffentlich die letzten Wolken wegblasen, die unser Gipfelziel verdecken.

Unübersehbar der Gegensatz zwischen Technik und Natur: Hier die futuristisch wirkende, von Stararchitekt Mario Botta gestaltete Bergstation mit Souvenirshop und gegenüber das elegante Oldenhorn, das uns aus einer anderen Welt grüsst. Auf einer Schotterpiste geht es über Schutt und Schneeresten gut hundert Höhenmeter hinunter zum Col de Tsanfleuron und dann auf Wegspuren vorbei an einigen Skiliftmasten hinauf zum Dôme de la Neige, der seinem Namen seit einigen Jahren keine Ehre mehr macht und sich  als breiter Karstrücken präsentiert. Bis zum höchsten Punkt erweist sich unser Weg als einfache Wanderung, doch dann folgt die erste Herausforderung: ein etwas ausgesetzter Abstieg von vierzig Metern in den Gletschersattel, wo angeseilt wird. Dank zwei Fixseilen bewältigen wir die Stelle problemlos. Nun sind wir endgültig eingetaucht in die erhabene Landschaft des Diablerets-Gletschers mit seinem eindrücklichen Abbruch nach Süden.

Pünktlich zur Mittagspause erreichen wir das schmideiserne Gipfelkreuz des Hauptgipfels des Diablerets-Massivs und freuen uns über Wetter und Aussicht: Inzwischen haben sich auch die letzten Wolken verzogen und das Panorama ist überwältigend: Spannend ist der Gegensatz zwischen den gewaltigen Nordabstürzen in den Talschluss von Diablerets und den weiten und sanften Gletscher- und Karstflächen von Tsanfleuron, die sich im Osten gegen den Sanetschpass erstrecken. Im Süden grüssen Matterhorn, Dent Blanche und Grand Combin, während die Schneekuppe des Montblanc sich unter einer Wolkenkappe versteckt.

Wir haben Zeit, Musse und überschüssige Energie, deshalb lockt uns noch die Tête de Barme, ein dem Hauptgipfel südlich vorgelagerter Vorgipfel, dessen Tiefblick auf den Schuttkegel des Bergsturzes und den Kessel von Derborance ein leises Schaudern auslöst. Wie ein Auge glitzert der Lac de Derborance aus seiner grünen Mulde. Faszinierend ist der Gegensatz zwischen Schuttwüste und Alpgrün. Welche Kräfte müssen hier gewütet haben, als in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die weite Alp gleich zweimal von einem Bergsturz heimgesucht wurde. So erstaunt es nicht, dass das Bergmassiv zu seinem teuflischen Namen gekommen ist.

Bevor wir mit der Grossraumkabine zum Col de Pillon hinuntergleiten und die Heimfahrt antreten, mischen wir uns unter die Seilbahntouristen, um unsere Nerven auf dem Peak Walk kitzeln zu lassen, der Hängebrücke, die die Bergstation mit dem Sex Rouge verbindet. Die Aussichtskanzel bietet interessante Perspektiven in die gewaltige Nordflanke des Diablerets-Massivs.

Zufrieden und um ein erfüllendes Bergerlebnis reicher geniessen wir die Rückreise mit Postauto und Zug durch die liebliche Voralpenlandschaft des westlichen Berner Oberlandes. Fazit: Sechs Stunden Reise-, vier Stunden Marschzeit. Lange Reise - kurze Tour? Vielleicht. Auf jeden Fall aber ein grossartiges Bergerlebnis in einer erhabenen Landschaft!

Hansruedi Spörri